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Deutsche Rapper im Boxring

Autor: Lars Vollmer
Veröffentlicht am: 14.06.2022

So wirklich authentisch war deutscher Hip Hop sowieso noch nie. Eher ein leicht peinlicher Abklatsch von US-Vorbildern, die sich von durchaus gehobener Terminologie begleitet, gegenseitig über den Haufen geschossen haben. In Deutschland reicht es für Street Credibility zum Zwecke des Plattenverkaufs bereits wegen Rauchen auf dem Pausenhof einen Schulverweis zu bekommen oder einem Ordnungsbeamten vor die Füße zu spucken.

Wenn man aber hauptberuflich große Töne gegen Berufskollegen spuckt, muss man sich früher oder später damit abfinden, dass sich besonders das junge Publikum schnell langweilt. Dass ein zeitlich passender Konter quasi automatisch in der Presse landet, egal wie schlecht der Disstrack auch ist, spricht außerdem gegen die Glaubwürdigkeit dieser Auseinandersetzungen.

Wann genau der gepflegte Diss von Fanta 4 und anderen Vorreitern deutschen Sprechgesangs nach und nach von teils überaus eloquenten und klugen Verbalkontern in körperliche Gewalt umschlug, kann wohl niemand so genau datieren. Womöglich, als Moses Pelham dem Viva Moderator Stefan Raab in einer Live-Sendung mit einer Kopfnuss die Nase gebrochen hat, was zu jener Zeit ja ein großer Eklat im deutschen Rap war.

Ein Mann zeigt seine Faust, in der er eine Goldkette hält.

Zwei deutsche Rapper haben sich im Internet für einen öffentlichen Boxkampf verabredet.

Dass sich Berliner Straßengangs bereits vorher mit Messern wegen lächerlichen Banalitäten gegenseitig abgestochen haben, hat aber einfach niemanden in der öffentlichen Wahrnehmung gejuckt. Das lag wohl daran, dass ebenjene Personen ohnehin nicht rappen konnten bzw. die Kunstform lediglich Vorwand für rohe, körperliche Gewalt war. Statt sie als Ventil für Frust zu nutzen, wie es jeder vernünftige Mensch in den meisten Fällen glücklicherweise tut.

Die schnelle Verbreitung und leichte Verfügbarkeit von Streaming Diensten führte dazu, dass plötzlich jeder Mittelklasse-Straßengangster sich von Ghostwritern ein paar geistlose Texte vorschreiben und das Ganze mehr oder weniger ohne großes Expertentum mit Fruity Loops und einem Kameramann mit iPhone einer theoretisch unbegrenzten Zielgruppe öffentlich zugänglich machen konnte. Deutschrap begann damit zumindest für solche Fans spannender und „authentischer“ zu werden, die auch WWE Wrestling für echt halten und heute noch aus dem einzigen Grund UFC Kämpfe einschalten, weil sie Blut sehen möchten.

Man kann nicht von der Hand weisen, dass jenes von Conor McGregor erst weltweit professionell etablierte “Shit Talking” seinen Zweck erfüllt. Hassen sich zwei Kämpfer persönlich oder verbreiten dies zumindest ein paar Wochen vorm finalen Kampf durch Rangeleien auf Pressekonferenzen, ihren Social Media Kanälen und Interviews in den Medien, steigert das die Einschaltquote ins Unermessliche. Somit verdient selbst der Verlierer genug Geld und Bekanntheit, dass es sowohl den Fans als auch den Kämpfern letztlich herzlich egal sein kann, ob vieles kalkuliert geplant ist.

Und genau so funktioniert seit Jahrzehnten das Rap Business in Deutschland. Ohne Beef, Beleidigung, Trennungsdramen (…) verkauft sich bis heute kein einziges Gala-Magazin. Irgendein Prinz muss auf Kokain im Bordell landen und seine Freundin betrügen, sonst kauft die Zeitschrift einfach niemand. Das gleiche Unheil fabrizieren im Internet all die Clickbait Artikel, von denen wir im Vorhinein wissen, wie sie funktionieren und dass sie nicht der Wahrheit entsprechen, – aber draufklicken müssen wir hin und wieder dennoch, um uns von der vermuteten Blödheit zu überzeugen und uns selbst als etwas weniger manipulierbar zu erfahren, wobei wir uns tief im inneren bewusst sind, dass wir genau so manipuliert wurden, wie es der Anzeigenschalter geplant hat.

An verhältnismäßig wilden Gewaltexzessen hat es jedoch nie gemangelt. Beispiele dafür sind:

  • Animus bekommt von Manuellsen aufs Maul
  • Silla bekommt von Panik eine gescheuert
  • Azad haut Sido auf dem Splash eine runter
  • Kollegah kickt seine eigenen Fans von der Bühne
  • Bushido wird von Abu Chakers als Sklave gehalten
  • Massiv schießt sich selbst ins Bein
  • Hamso48 geht wegen Schießerei in den Knast
  • Xatar überfällt einen Goldtransporter
  • Gzuz muss wegen Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz ins Gefängnis

Bei vielen der Vorkommnisse handelt es sich nach wie vor um kalkulierte Gewaltszenen, die vor allem für Reichweite sorgen sollen. Denn was macht einen Nobody im Rap bekannter als Tupac Shakur ins Knie zu schießen? So funktioniert diese Kunstform eben als Geschäftsmodellvariante und das seit geraumer Zeit äußerst erfolgreich.

So why change a running system?

UFC/MMA ist in den USA längst eine der größten Sportarten überhaupt und nimmt weltweit rasant an Beliebtheit zu, weshalb es mittlerweile sogar UFC Wettanbieter gibt und Online Casinos Partnerschaften mit der UFC eingehen. Unabhängig, wer genau sich da im Ring die Hirse zermürbt. Professionelle Kämpfer sind in aller Regel jedoch charakterlich genau das Gegenteil von Künstlern im Rapgeschäft: sportlich, fair und respektvoll.

Lässt man Straßenbeef fortan auf sportliche Weise mit minimalen Regeln, die die Sicherheit des Gegners gewähren, austragen, braucht es statt langweilige Antworten auf ausgelutschte Disstracks fortan nur noch eines: Die Demut und den Mut des Verlierers, sich auf ein Re-Match einzulassen, wenn der erste verlorene Kampf nicht bereits irreparable Schäden an der eigenen Reputation als harter Straßenjunge bewirkt und damit die zukünftig erwartbaren Streams und Merchverkäufe zumindest eine sehr lange Zeit drastisch minimieren. Dies wäre eine nie erfahrene Art von Rappern, trotz Beef auf faire Weise miteinander umzugehen. Wobei „faire Weise“ hierbei meint, dem Beef startenden Kontrahenten mit einem Schienbein zum Kopf auszuknocken.

Die Rapper sind einem breiten Publikum bekannt und falls nicht, ist ein Kampf die perfekte Chance für sie! Die Streitigkeit im Ring zu klären, würde unabhängig vom tatsächlichen Können für nie gesehene Einschaltquoten bzw. Klicks und Medienberichten sorgen. Gerade die ersten beiden Rapper zu sein, die sich vor laufender Kamera endlich gegenseitig antun, was sie in ihren Texten doch eh immer so lauthals verkünden, wäre nicht nur vielen Rapfans geradezu ein Genuss, sondern wohl auch eine fette Stange Geld für die Kämpfer, im Gegensatz zu den paar Cent, die ihnen ein Plattenverkauf bringen würde.

Eine Begegnung für den ersten offiziellen Boxkampf zwischen zwei deutschen Rappern steht nach einigen Unklarheiten nun in trockenen Tüchern. Dabei handelt es sich um den mehrfach verurteilten Gangsterrapper Sinan-G, der gegen den ebenfalls verurteilen Untergrundrapper Bözemann in den Ring steigen wird. Ein Instagram-Kommentar war angeblich genug Anlass, um sich auf einen Kampf zu einigen und bereits im Vorfeld auf der Pressekonferenz eine Schlägerei anzuzetteln.

Die Glaubwürdigkeit dieser Rivalität ist also mehr als nur fragwürdig. Kritiker vermuten, dass die beiden sich von Youtube Stars Trymacs und MckyTV inspirieren ließen. Diese füllten die Lanxess Arena in Köln mit rund 13.500 Zuschauern und brachen sämtliche Rekorde für deutsches Promiboxen. Ob trotz der groß gespuckten Töne noch genug Luft nach Runde 1 übrig ist, wagen die Fans außerdem zu bezweifeln. Nach einer kleinen Schubserei beim ersten Treffen ging nämlich beiden Rappern bereits die Puste aus.

Kämpfe zwischen beleidigten, eigentlich verängstigten erwachsenen Männern sind für die jeweiligen Fans ein klarer Filter, wer „real“ ist und wer einfach zu viel Karate Tiger geschaut hat oder sich hinter einem riesigen Rücken an Gangs und Großfamilien sicher fühlt. Der stärkste Rücken irgendeiner Mafiagang bringt allerdings wenig in einem Oktagon oder Boxring.

Auch im internationalen Raum führte ein Social Media Konflikt bislang selten zu einer Auseinandersetzung im Ring. Eine Ausnahme bilden der amerikanische Rapper und zugleich bekanntester Crip Gangster Blueface, der gegen den Tiktok Star Kane Trujillo im Juli 2021 in den Bare Knuckle FC Ring stieg. Blueface gewann einen einseitigen Kampf und konnte somit seine Straßenkredibilität bewahren. Von einem technisch versierten Kampf kann man jedoch nicht sprechen.

Den Stein ins Rollen für Celebrity Boxkämpfe brachten die Youtube Ikonen Logan Paul und KSI, die zusammen fast 50 Millionen Follower vorweisen können. Der Kampf füllte die gesamte Manchester Arena in England mit 21.000 Ticketverkäufen und wurde als “das größte Internetevent der Geschichte” beworben. Da der Kampf in einem Unentschieden endete, einigte man sich auf einen Rückkampf in Amerika. Dieser war im Gegensatz zum Hinkampf sogar als professioneller Boxkampf und ohne Kopfschutz angesetzt.

Trotz vieler peinlicher Auftritte auf Pressekonferenzen und einer Menge Kritik waren die Kämpfe in finanzieller Sicht ein absoluter Erfolg. Auch Superstars wie Justin Bieber, Jake Paul, Wiz Khalifa, Post Malone und Mike Tyson konnte man beim Kampf antreffen. Das solche Showkämpfe die Integrität des Kampfsports zerstören und diesen zu einem überteuerten Kirmesboxen degradiert, scheint jedoch die wenigsten zu stören.