Streamingdienste galten lange als das Paradies der Musik-Demokratie. Jeder darf hochladen, jeder kann gehört werden. Doch nun taucht ein neuer Störton auf und der kommt nicht von schlechten Lautsprechern, sondern von gezielt eingesetzten Algorithmen. Denn wer glaubt, dass hinter jedem gestreamten Song ein echter Fan steckt, irrt. Immer häufiger sorgen KI-generierte Tracks für Klickzahlen, die weniger mit Begeisterung als mit Betrug zu tun haben.

Bots statt Fans! Immer mehr KI-generierte Songs werden automatisiert gestreamt, und das mit echten finanziellen Folgen für Musikerinnen und Musiker. Die Spur führt zu organisierten Netzwerken und Millionenbeträgen.
- Automatisierte KI-Generatoren erstellen täglich zehntausende Songs ohne menschliches Zutun.
- Botnetzwerke streamen diese Titel rund um die Uhr, um unrechtmäßig Einnahmen zu kassieren.
- Streamingdienste beginnen erst jetzt, wirksame Filter und Kontrollmechanismen zu entwickeln.
Von Soundtracks zu Scam-Tracks – Wie KI Musik „macht“ und missbraucht wird
Ein paar Klicks, ein kurzer Textbefehl und fertig ist der Track. Was früher Nächte im Studio bedeutete, erledigen heute Generatoren wie Suno oder Udio in Sekunden. Laut Deezer landen inzwischen rund 20.000 rein KI-generierte Titel täglich auf der Plattform [Quelle auf Englisch], also fast jede Minute ein neuer Track aus der Maschine. Die Ergebnisse klingen mal nach Chart-Hit, mal nach chilligem Hintergrundgeplätscher. KI-Musik ist technisch also keine Hexerei mehr, sondern Massenware.
Hier geht es nicht mehr um Leidenschaft, sondern um Kalkül. Die Idee dahinter? Möglichst viele generierte Songs ins System schleusen, auf möglichst vielen Wegen. Sobald ein Bot den Play-Button drückt, klingelt irgendwo die virtuelle Kasse. Nicht selten steckt dahinter eine automatisierte Klickfabrik, die darauf ausgelegt ist, Tantiemen abzugreifen. Die Musik selbst ist dabei Nebensache, Hauptsache, sie läuft oft genug.
Klick, kassieren, verschwinden – Das Prinzip Streaming-Betrug
Der Trick ist ebenso simpel wie effektiv. Man nehme eine große Menge generierter Musik, platziere sie auf Streamingdiensten und schicke anschließend ein digitales Heer von Bots los, das die eigenen Tracks in Endlosschleife „anhört“. Je mehr Plays, desto mehr Geld. Denn Plattformen wie Deezer oder Spotify zahlen Erlöse pro Stream aus, unabhängig davon, wer oder was tatsächlich zuhört. Deezer geht in einer aktuellen Analyse davon aus, dass bis zu 70 % der Streams von KI-generierter Musik auf der eigenen Plattform manipuliert sind.
Um nicht aufzufallen, wird nicht ein einzelner Song millionenfach gespielt, sondern tausende Titel mit jeweils moderatem Traffic. So bleibt der Betrug unter dem Radar, algorithmische Alarmsysteme schlagen nicht sofort an. In Summe kommt dennoch einiges zusammen. Wer es geschickt anstellt, verdient sich mit Fake-Klicks ein ordentliches Zubrot oder sogar ein digitales Vermögen. Und das ganz legal, zumindest auf den ersten Blick.
Während echte Musiker auf Reichweite und Fans hoffen, generieren Bot-Farmen im Hintergrund also ein paralleles System. Die Musikindustrie bekommt davon oft erst etwas mit, wenn es an den Geldbeutel geht, oder wenn plötzlich auffällig viele Streaming-„Erfolge“ von Künstlern stammen, die niemand kennt.
Der Algorithmus hat nichts gemerkt
Auf dem Papier sieht alles harmlos aus: konstante Streams, keine Ausschläge, keine Verdachtsmomente. Wer die Zahlen liest, könnte denken, hier schleicht sich gerade der nächste virale Hit an. Doch die Wahrheit spielt sich im Schatten ab, gesteuert von Bots, die menschliches Hörverhalten perfekt nachahme, nämlich mit Pausen, Shuffle-Modus und realistischer Taktung.
Das Problem? Die Algorithmen der Streamingdienste waren lange blind für genau solche Aufführungen. Sie schlugen nur bei groben Anomalien an, etwa wenn ein einzelner Track plötzlich millionenfach durchrauscht. Subtile Botnetzwerke aber fielen durch. Dienste wie Deezer, mit 10 Millionen zahlende Nutzer weltweit, stehen nun unter Zugzwang. Erste Schritte sind getan und Inhalte aus bekannten KI-Schmieden werden markiert sowie neue Tools sollen verdächtige Streamingmuster filtern. Doch es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Und die Maus ist ziemlich gut im Tarnen.
Schadensbilanz eines stillen Musikskandals
Was auf den ersten Blick nach einem kuriosen Digitalphänomen aussieht, hat reale Folgen. Denn für jeden Euro, der an Bot-generierte KI-Songs fließt, fehlt dieser Betrag in der Kasse echter Künstlerinnen und Künstler. Wer mit Leidenschaft Musik macht, gerät zunehmend ins Hintertreffen. Besonders trifft es Newcomer ohne Label im Rücken. Ihre Songs verschwinden in Playlists, die längst von Algorithmen und Fake-Accounts dominiert werden.
Hier schlagen Branchenverbände Alarm. Der globale Musikstreaming-Markt war 2024 laut dem IFPI Global Music Report [Quelle auf Englisch] über 20 Milliarden US-Dollar schwer. Genug, um auch kriminelle Akteure dauerhaft anzulocken. Ein lukratives Ziel für Betrüger, ein wachsendes Problem für ehrliche Musikschaffende.
Auch rechtlich ist vieles unklar, denn wer haftet, wenn Betrugsmaschen auffliegen? Und wie lassen sich Urheberrechte schützen, wenn Songs nicht von Menschen stammen? Die Recording Industry Association of America (RIAA), der zentrale Branchenverband der US-Musikwirtschaft, reichte im Juni 2024 Klage gegen mehrere KI-Musik-Startups ein und fand in ihrer Pressemitteilung deutliche Worte:
,,… Aber wir können nur erfolgreich sein, wenn die Entwickler bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten. Nicht lizenzierte Dienste wie Suno und Udio, die behaupten, es sei „fair“, das Lebenswerk eines Künstlers zu kopieren und es ohne Zustimmung oder Bezahlung für ihren eigenen Profit zu nutzen, werfen das Versprechen einer wirklich innovativen KI für uns alle zurück.
Während Plattformen an technischen Lösungen tüfteln, fordern Interessenvertretungen strengere Regeln – und mehr Transparenz. Denn solange Klicks als Währung gelten, bleibt die Versuchung groß, das System auszutricksen. Und der Schaden lässt sich längst nicht mehr überhören.
KI, Klicks und Konsequenzen – und warum interessiert das (fast) niemand?
Wer hinter dem Betrug steckt? Offiziell weiß es niemand so genau. Was man weiß: Es sind keine Einzelgänger mit Laptop im Keller, sondern offenbar gut organisierte Netzwerke, die ihre Tracks systematisch durchklicken lassen. Vermutet werden Verbindungen zu Klickfarmen in Regionen, wo Rechenpower billig und Regulierung rar ist. Doch weil die Summen pro Stream überschaubar wirken, bleibt das Thema oft unter dem Radar – ein leiser Skandal, der sich gut tarnt.
Streamingdienste wie Deezer und Spotify haben inzwischen begonnen, gegenzusteuern. Mit neuen Tools, neuen Filtern, neuen Prüfmechanismen. Doch der Wettlauf ist eröffnet und die Technik der Betrüger schläft nicht. Gleichzeitig tut sich eine größere Frage auf, denn wie viel Musik aus KI-Schmieden wollen wir überhaupt im Umlauf haben? Und wer verdient daran?